Scoring im Onlinehandel: Was die Datenspur verrät.

Schon eine Handvoll Daten, die bei jedem Einkauf im Onlinehandel anfallen, reichen für ein Kredit-Scoring, das so gut ist wie das einer Auskunftei, beispielsweise der Schufa. Eine Forschungsarbeit der Frankfurt School of Finance & Management zeigt, wie wichtig der digitale Fußabdruck ist.

  • Onlinehändler können auf Basis weniger Informationen ein Scoring ihrer Kunden erstellen.
  • Informationen wie das genutzte Smartphone-Modell oder der Email-Provider erlauben Rückschlüsse darauf, wie zuverlässig der Kunde zahlt.
  • Valentin Burg, Gastwissenschaftler an der Humboldt Universität, erklärt wie das Modell funktioniert.
Scoring im Onlinehandel: Dr. Valentin Burg ist Gastwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er unter anderem den Einfluss von Management-Stilen auf Finanzentscheidungen erforscht hat.

Herr Burg, in Ihrer Arbeitsgruppe haben Sie mit Daten, die eigentlich jeder Onlineshop über seine Kunden sammelt, ein Scoring erstellt, das so gut ist wie das einer klassischen Auskunftei. Wie sind Sie darauf gekommen, dass so etwas möglich ist?

Valentin Burg: Ich arbeite seit meiner Promotion in einem E-Commerce-Unternehmen, das von den Auskunfteien zum Teil sehr unscharfe Ergebnisse bekommt. Das ist ein Problem, weil wir auch Rechnungskauf anbieten, und da geben Sie ja einen Minikredit an den Kunden. Also haben wir uns gefragt: Was wissen wir selber über die Kunden, bei denen wir Zahlungsausfälle hatten? Welche Merkmale könnten wir nutzen, um Kreditwürdigkeit einzuschätzen? Als ich einem Ex-Kollegen davon erzählt habe, der an der Frankfurt School of Finance & Management ist, wurde daraus ein Forschungsprojekt.

In Ihrem Modell berücksichtigen Sie ganz simple Merkmale – zum Beispiel, wo der Kunde seine E-Mail-Adresse hat oder ob er ein Apple- oder Android-Gerät nutzt. Welche Überlegungen stecken dahinter?

Wir haben uns intuitiv überlegt: Welche Faktoren könnten Sinn machen? Zum Beispiel gibt es schon einiges an Forschung, die zeigt, dass Leute mit Apple-Geräten eher zu den Besserverdienenden gehören. Bei der E-Mail-­Adresse ist das ähnlich: Leiste ich mir T-Online oder nutze ich einen kostenlosen Dienst? Bei anderen Faktoren steckt Verhaltens­theorie dahinter: Wer über ein Werbebanner kommt, ist vielleicht eher ein Impulskäufer als jemand, der über ein Preisvergleichsportal kommt.

Prüfen Sie denn auch, ob Ihre Interpretationen stimmen?

Das war nicht das Ziel unserer Forschung. Uns interessiert weniger, warum diese Variablen eine Rolle spielen, sondern eher, dass sie verlässlich eine Rolle spielen.

Aber wenn sich herumspricht, dass man mit bestimmten E-Mail-Adressen oder Telefonen schlechtere Konditionen bekommt, dann können Kunden das ja umgehen.

Wir beobachten, dass sich die Nutzer nicht so stark anpassen, das ist ja auch mit viel Aufwand verbunden.

Können Sie mit Ihrem Modell auch Profile über die Kunden anlegen und Langzeitprognosen treffen?

Wir haben uns nur kurzfristige Kredite angeschaut, die nach einem Monat fällig sind. Wie sich die Kreditwürdigkeit über mehrere Monate oder Jahre entwickelt, das geben die Daten nicht her. Als Onlineshop-Betreiber würde ich jedes Mal, wenn der Kunde kommt, eine neue Einschätzung treffen. Ich würde auch immer wieder überprüfen, ob die Variablen noch die gleiche Aussagekraft haben oder inzwischen andere eine größere Rolle spielen.

Das ist ein ganz anderer Ansatz als der einer Auskunftei, da basieren die Scores ja auf der Kundenhistorie.

Ja, der digitale Fußabdruck bildet das Hier und Jetzt ab. Wahrscheinlich ist das auch ein Grund dafür, dass unsere Scores nur eine niedrige Korrelation mit denen der Auskunfteien haben – obwohl beide gleich trennscharf sind, wenn wir zwischen besseren und schlechteren Risiken unterscheiden wollen.

Kann der digitale Fußabdruck irgendwann die klassische Auskunftei ersetzen?

Eher nicht. Unser Papier zeigt ja, dass sich beide Scores sehr gut ergänzen. Wenn ich zum Beispiel 1.000 Kunden mit einem A-Rating habe, kann ich darin die tendenziell besseren von den tendenziell schlechteren unterscheiden. Und wenn ich von der Schufa schlecht gerankte Kunden habe, kann ich herausfinden, ob einige vielleicht doch ein gutes Risiko haben und falsch eingestuft wurden.
Scoring im Onlinehandel: Person schließt am Laptop einen Online-Kauf ab.

Stehen jetzt eigentlich die Fintechs bei Ihnen Schlange, um Ihre Erkenntnisse in eigene Produkte umzusetzen?

Da war auf jeden Fall ein hohes Interesse.

Auch von Finanzdienstleistern und Banken?

Ja, da sind einige interessiert.

Aber mehr können Sie gerade nicht sagen.

Ja (lacht).

Sie sind international nicht die Einzigen, die an digitalem Scoring arbeiten. Das US-Versicherungsfintech Lemonade zum Beispiel erfasst unter anderem, wie viel Zeit sich Kunden nehmen, um einen Vertrag zu lesen, bevor sie auf „annehmen“ klicken.

Ich glaube, dass viele Unternehmen so etwas nutzen. Prominentestes Beispiel ist wahrscheinlich China – die Alibaba-Tochter Alipay entwickelt da Credit Scores, die im Endeffekt auf verhaltenstheoretischen Modellen beruhen.

Sind solche Ansätze denn DSGVO-konform?

Dazu kann ich nicht so viel sagen, das muss man immer im Einzelfall bewerten. Aber wer auch immer so etwas macht, muss das natürlich offenlegen.

Damit der Kunde weiß, warum ihm bestimmte Zahlungsoptionen nicht angeboten werden.

Wobei das digitale Scoring ja auch zum Vorteil des Kunden erfolgen kann, wenn er trotz eines schlechten Auskunftei-Scorings eine unsichere Zahlungsart nutzen kann. Es geht ja darum, die Kunden treffender einzuschätzen.

Wann würden Sie einem Unternehmen raten, ein Scoring nach Ihrem Vorbild zu entwickeln?

Das ist eine Frage der Größe: Kann man sich das leisten? Und hat man genügend Daten, um gute Einschätzungen zu treffen? Ein paar Tausend Beobachtungen pro Monat sollten es schon sein. In dem Fall würde ich empfehlen, das selber inhouse zu entwickeln. Nicht nur wegen der verbesserten Qualität einer Kreditentscheidung, sondern auch weil man noch mehr über den Kunden lernt.
Photo credits: E+ / Getty Images (2), PR