Künstliche Intelligenz und Verhaltensökonomik: Daten mit Seele.

Verhaltensökonomen wissen: Menschen entscheiden nicht immer rational, aber oft berechenbar – wenn man weiß, wie sie ticken. Firmen nutzen diese Erkenntnisse jetzt in KI-Systemen. Was bedeutet das fürs Geschäft?

  • Mithilfe von Künstlicher Intelligenz können Unternehmen verhaltensökonomische Erkenntnisse auf die Kundenkommunikation anwenden.
  • KI-Technologien basierend auf der Verhaltensökonomik werden in der Inkassso- und Versicherungsbranche bereits eingesetzt, stehen aber noch am Anfang.

Täglich treffen wir bewusste oder unbewusste Entscheidungen. Wie und warum wir etwas tun, das versucht Behavioral Economics, die Verhaltensökonomik, zu erforschen. Verstehen Unternehmen die Muster des Verhaltens ihrer Kundinnen und Kunden, hat das viele Vorteile. Zwar handelt der Mensch meistens nicht rational, sondern unlogisch oder emotional, trotzdem lehren uns Experimente der Behavioral Economics, dass Entscheidungen klaren Mustern folgen und durchaus vorhersagbar sind. Diese Erkenntnisse lassen sich durch die Anwendung Künstlicher Intelligenz auswerten und etwa im Inkassogeschäft gezielt auf säumige Zahlerinnen und Zahler anwenden.

KI-Forschung: Mit Moral und Ethik ans Ziel.

Ein Beispiel: Lassen sich säumige Kundinnen und Kunden mit Moral und Ethik eher dazu bewegen zu zahlen, als mit einem schmucklosen Erinnerungsschreiben? Von einer indonesischen Bank wurde genau das in einer Feldstudie getestet. Die Wissenschaftler schickten säumigen Kreditkartenkunden einen Tag nach Zahlungsfrist ein Erinnerungsschreiben. Vor Ablauf einer weiteren Frist erhielten die Kundinnen und Kunden der untersuchten Gruppe erneut ein Schreiben. Dieser Brief war allerdings mit einem islamischen Sprichwort versehen, das von der Unmoral des Verhaltens handelt, seine Schulden nicht zu begleichen. Das Ergebnis: Die moralgetränkte Nachricht steigerte die Rückzahlungsrate um 20 Prozent. An eine Kontrollgruppe wurde gleichzeitig ein normaler Brief geschickt, auf den es keine Reaktion gab. Zudem fanden die Forscher heraus, dass Konsumenten stärker auf den moralischen Hinweis reagieren als etwa auf das Herabsetzen der Rückzahlungsraten. 

Künstliche Intelligenz trifft Verhaltensökonomie: Jörg Schweda, Geschäftsführer bei EOS Deutscher Inkasso-Dienst
Säumigen Zahlerinnen und Zahlern müssen wir immer eine Perspektive bieten.
Jörg Schweda, Geschäftsführer bei EOS Deutscher Inkasso-Dienst

Künstliche Intelligenz kennt den richtigen Kommunikationsweg.

Um säumige Zahlerinnen und Zahler am effizientesten anzusprechen, müssen Unternehmen in Zukunft neue Pfade beschreiten. Etwa die Kombination aus digitalen Kommunikationswegen mit erwiesenen Ansätzen aus der Verhaltensforschung und einem datengetriebenen Algorithmus. Wer eine vollautomatisierte, auf die Verbraucherin oder den Verbraucher zugeschnittene Ansprache nutzt, wird am Ende erfolgreicher sein. Das Unternehmen bewertet die Situation individuell und erreicht so höhere Rückzahlungsquoten. „Es ist wichtig, dass Inkassounternehmen Menschen zum Begleichen ihrer Schulden ermutigen“, erklärt Jörg Schweda, Geschäftsführer bei EOS Deutscher Inkasso-Dienst. „Säumigen Zahlerinnen und Zahlern müssen wir eine Perspektive bieten.“

Eine Technologie in der Entwicklung - aber mit Zukunft.

Wie kompliziert es ist, Verhaltensforschung und datengetriebene Algorithmen zu kombinieren, zeigen zum Beispiel sogenannte Insuretechs. Online-Versicherer wie Lemonade oder Oscar werben damit, dank Künstlicher Intelligenz (KI) und intelligenter Algorithmen Versicherungssummen im Schadensfall schnell auszuzahlen. Dahinter steckt eine durchaus verbraucherfreundliche Idee: Die Versicherung können Kundinnen und Kunden per App oder über die Website kostengünstig mit ein paar Klicks abschließen. Dabei läuft der Versicherungsbetrieb fast vollständig über KI-Bots ab. Die Regulierung im Schadensfall dauert angeblich nur wenige Sekunden, inklusive Prüfung, Entscheidung und Auszahlung. Doch wer weiß, ob es sich in manchen Fällen nicht um Versicherungsbetrug handelt? „Eines der Dinge, die wir noch nicht hingekriegt haben, ist unsere Schadensquote. Sie ist noch im roten Bereich und rund 60 Prozent höher als wir sie gerne hätten“, erklärte Lemonade-Firmengründer Shai Wininger in seinem Blog. 

Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine.

Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine gilt als Schlüsselfaktor dafür, im Wettbewerb bestehen zu können. Die Verfügbarkeit von gewaltigen Datenmengen ermöglicht es lernenden Algorithmen heute, die Genauigkeit von Prognosen enorm zu steigern. Mit den richtigen Daten können KI-Systeme dann automatisieren und skalieren. Das geht aber nur, wenn der Einsatz der Werkzeuge aus der verhaltensökonomischen Toolbox zielgerichtet ist. KI benötigt eine noch stärkere Integration in die Lebenswelt der Konsumentinnen und Konsumenten mit all ihrer Emotionalität, Bedürfnislage und den Konsummotiven. Im Idealfall generieren Unternehmen dann Daten mit Seele.

Photo credits: E+ / Getty Images, EOS